Mittwoch, 21. November 2012

Trä­nen Jesu über die Ver­stockt­heit der Men­schen

Jesus weint über Jerusalem
James Tissot

Zwei­mal berich­tet das Evan­ge­lium, dass unser Hei­land geweint hat. Das erste Mal, als er sich Jeru­sa­lem näherte und das Schick­sal die­ser Stadt bedachte. Das zweite Mal, als man ihn zum Grabe des Laza­rus führte. Trä­nen sind Aus­druck der Erschüt­te­rung und der Trauer. Erschüt­te­rung und Trauer aber erwach­sen aus der Liebe, die sich ver­letzt und ent­täuscht sieht.

Jesus weint. Er weint ers­tens, weil der Mensch Got­tes Heim­su­chun­gen ablehnt. Gott weint über die Ver­stockt­heit des Men­schen. Jesus rei­tet ein in Jeru­sa­lem inmit­ten der jubeln­den Volks­menge, und beim ers­ten Anblick der Stadt über­wäl­tigt ihn die Trauer und der Schmerz. Er denkt an das Schick­sal die­ser Stadt, denn er kennt ihr Schick­sal, und über die­ses Schick­sal weint er. Gott wollte die Stadt heim­su­chen. Heim­su­chen heißt, er wollte ihr die Gnade anbie­ten, er wollte sie auf­rüt­teln, er wollte sie gewin­nen, er wollte ihr das Heil und den Frie­den brin­gen. 


Heim­su­chun­gen sind Gna­den­an­ge­bote Got­tes. Es sind äußere Ereig­nisse oder innere Erleb­nisse, die den Men­schen nach der Absicht Got­tes wach­rüt­teln sol­len, die ihn heil­sam erschüt­tern sol­len, die ihn an Gott erin­nern sol­len, die ihn an seine Lebens­auf­gabe gemah­nen sol­len und die ihn auch mit Mut und Kraft erfül­len sol­len. Sol­che Heim­su­chun­gen hat Jesus der Stadt Jeru­sa­lem mehr­fach beschert. Er ist wie­der­holt in der Stadt gewe­sen. Er sagt es ja sel­ber: „Wie oft wollte ich deine Kin­der sam­meln!“ Und aus die­sem Satz: „Wie oft wollte ich deine Kin­der sam­meln!“ erschlie­ßen wir, dass er mehr­fach in Jeru­sa­lem seine Tätig­keit aus­ge­übt hat. Er hat dort gepre­digt. „Er lehrte täg­lich im Tem­pel“, so haben wir eben im Evan­ge­lium gehört, er hat Wun­der gewirkt. Aber die Bewoh­ner, die Mehr­heit der Bewoh­ner und vor allem die Obrig­keit haben sich ihm ver­schlos­sen. 

Und des­we­gen weint er, als er die Stadt vor sich sieht: „Wenn doch du an die­sem dei­nem Tag erkenn­test, was dir zum Frie­den dient!“ Jeru­sa­lem müßte – jetzt zum letz­ten Mal – erken­nen, was ihm zum Frie­den dient, was Gott von ihm for­dert. Es müßte also Jesus als den Mes­sias erken­nen und aner­ken­nen. Dann würde die Bedin­gung für die Erlan­gung des Hei­les erfüllt sein. Das ist aber unmög­lich, weil ihm diese Erkennt­nis ver­schlos­sen ist. „Nun aber ist es vor dei­nen Augen ver­bor­gen.“ Es ist ver­bor­gen, weil Gott sein Gna­den­an­ge­bot zurück­ge­zo­gen hat. Jeru­sa­lem ist jetzt mit Blind­heit geschla­gen, so dass Jesus sei­nen Wunsch nicht erfül­len kann. Der Wunsch Jesu ist uner­füll­bar gewor­den durch die Blind­heit der Bevöl­ke­rung von Jeru­sa­lem.

Meine Chris­ten, Gott weint nicht über jede Sünde. Zwar schlägt ihm jede Sünde eine Wunde. Die Strie­men an sei­nem Kör­per sind die Male unse­rer Bos­heit. Aber nur über eine Sünde weint der Herr: über die Sünde der Ver­stockt­heit. Was ist Ver­stockt­heit? Ver­stockt­heit ist das mut­wil­lige Behar­ren in der Abkehr von Gott und das trot­zige Fest­hal­ten am Bösen – das mut­wil­lige Behar­ren in der Abkehr von Gott und das trot­zige Fest­hal­ten am Bösen. Diese Hal­tung stei­gert den Cha­rak­ter der Sünde, die ja immer Selbst­ver­schlie­ßung vor Gott ist, zu höchs­ter Akti­vi­tät. Als Folge erge­ben sich Unbuß­fer­tig­keit und Wider­stän­dig­keit gegen die Bekeh­rung. 

Ver­stockt­heit ist der Zustand des Wil­lens, der mit Gott gebro­chen hat und der unab­än­der­lich an der Sünde fest­hält. Als Sünde wider den Hei­li­gen Geist ist die Ver­stockt­heit die bewußte Ableh­nung aller auf die Wil­lens­än­de­rung gerich­te­ten Ein­flüsse Got­tes. Wer die Wahr­heit unter­drückt, weil sie ihn bloß­stellt, der ist ver­stockt. Wer nicht erlöst wer­den will, der ist ver­stockt. Wer sich wei­gert, das Gute an Chris­tus und sei­ner Kir­che anzu­er­ken­nen, der ist ver­stockt. Wer die Sünde ableug­net, der ist ver­stockt. Wer das Böse gut nennt, der ist ver­stockt. Wer die Begriffe der Moral umfälscht, der ist ver­stockt. Der Ver­stockte wider­setzt sich der Wahr­heit; bei ihm ist die Gnade ohn­mäch­tig.

Die Ver­stockt­heit hat als Sünde ihren Grund im freien Wil­len des Men­schen, als Unab­än­der­lich­keit des Wil­lens im Man­gel an Gnade. Dau­ern­des Sün­di­gen stumpft das Gewis­sen ab, macht gegen die Gnade gleich­gül­tig und selbst wider­spens­tig, führt zum Ver­sie­gen der Gnade, zur Ver­stockt­heit.

Frei­lich, so wenig, so wenig kann Gott von der Liebe auch zum Ver­stock­ten las­sen, dass er über ihn weint. Was in der Schrift geschrie­ben steht, so haben wir heute in der Epistel gehört, das ist zu unse­rer Beleh­rung geschrie­ben. Die Ereig­nisse von damals haben ihre Bedeu­tung für uns. „Wenn doch du an die­sem dei­nem Tage erkenn­test, was dir zum Frie­den dient!“ Frie­den möchte jeder haben. Friede, also Har­mo­nie, Aus­gleich, Ruhe und Heil, Ord­nung, Glück und Selig­keit, das alles ist ja in dem Begriff des Frie­dens in umfas­sen­dem Sinne ent­hal­ten. Frie­den möchte jeder haben. Aber die Bedin­gung muss er erfül­len. „Wenn doch auch du an dei­nem Tage es erkenn­test, was dir zum Frie­den dient!“ 

Gott sucht die Seele heim, aber nicht an jedem Tag. Die Heim­su­chun­gen Got­tes haben ihre Stunde. Man spricht von einem „kai­ros“ mit dem grie­chi­schen Wort, von einem Augen­blick, von einem Zeit­punkt, an dem Gott seine Gnade anbie­tet, und dann ist es vor­bei. Die­ser Tag, das ist der Tag, da Gott die Seele heim­su­chen will. Die­ser Tag kann auch eine Nacht sein. Die Nacht des Leids, die Nacht der Not. „Visi­tasti me nocte“ so beten wir Pries­ter im Bre­vier. „Du hast mich in der Nacht heim­ge­sucht.“

Die Heim­su­chung geschieht durch äußere und durch innere Gna­den. Was sind äußere Gna­den? Äußere Gna­den sind Erleb­nisse und Ereig­nisse, in denen Gott zu uns spricht. Ein Unfall, den wir erlei­den, eine Gefahr, aus der wir erret­tet wer­den, ein Mißer­folg in unse­rer Arbeit, ein Gelin­gen bei unse­rem Bemü­hen, eine Krank­heit, die uns über­fällt, eine Gene­sung, auf die wir nicht zu hof­fen wag­ten, ein Got­tes­dienst, der uns ergreift, ein Wort der Hei­li­gen Schrift, das uns packt, eine Pre­digt, die uns anrührt – das sind äußere Gna­den. Wir soll­ten sie ergrei­fen, denn das sind die Gna­den­stun­den Got­tes. 

Dazu tre­ten die inne­ren Gna­den. Das sind die Erleuch­tun­gen, die Gott in uns bewirkt, die Antriebe der Gnade, die er uns schickt, die Ein­spre­chun­gen, mit denen er an unsere Seele rührt, die Mah­nun­gen, die Bes­se­rung des eige­nen Lebens nicht auf­zu­schie­ben, die War­nun­gen, die Gele­gen­heit zur Sünde zu mei­den. Das alles sind Heim­su­chun­gen Got­tes. Und an uns ergeht der Ruf: „Heute, wenn ihr seine Stimme hört, ver­här­tet eure Her­zen nicht!“

Sün­di­gen ist mensch­lich, aber in der Sünde ver­har­ren, das ist teuf­lisch. Und des­we­gen ergeht an uns der Auf­ruf: „Heute, wenn du seine Stimme hörst, ver­härte dein Herz nicht!“ Haben wir nicht viele Heim­su­chun­gen Got­tes erfah­ren? Und was haben wir damit gemacht? Haben wir sie benutzt, oder haben wir sie ver­spielt? Das schreck­lichste Unglück ist, wenn man sün­di­gen kann, ohne dass das Gewis­sen sich rührt. 

Das ist der Zustand der Ver­lo­ren­heit. Der Ent­zug der Gnade erfolgt in der Aus­wir­kung der Sünde und wegen der Sper­rung gegen­über den Gna­den­an­ge­bo­ten Got­tes. Die Ver­stockt­heit des Sün­ders ist der Ent­zug der Gnade. Frei­lich, wir müs­sen dazu sagen: Solange ein Mensch auf Erden lebt, wird Gott es immer wie­der ver­su­chen. Er wird auch ver­su­chen, den Ver­stock­ten zu bekeh­ren. Aber es kann sein, dass der Ver­stockte zur Bekeh­rung nicht mehr fähig ist.

Jesus weint, weil der Mensch die Heim­su­chun­gen Got­tes miß­ach­tet. Jesus weint aber auch zwei­tens, weil der Mensch Gott nicht ernst nimmt. Er weint über den Unglau­ben des Men­schen. 

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