Mittwoch, 12. Dezember 2012

In jedem Stande kann man heilig werden

Betrachte, christliche Seele! das Leben dieser beiden Jungfrauen Maria und Germana
Die eine ist eine Sklavin, verachtet, und wegen ihrer Religion gehaßt. Sie dient einer harten Frau, die Gott nicht kennt, und mit ihren Launen das unglückliche Mädchen quält. 
Aber die Sklavin Maria dient mit aller Treue ihrer heidnischen Herrschaft; sie vollzieht genau jeden Wink derselben, und betet unaufhörlich für ihr Wohl. Gewissenhaft befolgt sie die Mahnung des Apostels: Vollkommen treu sich erweisen, damit sie der Lehre Gottes, unseres Heilandes zur Zierde sei in allem. 

Umgeben von Sklavinnen, Knechten und Mägden, die dem Götzendienste ergeben sind und seinen scheußlichen Gebräuchen, bewahrt sie ihren heiligen Glauben und ihre jungfräuliche Reinheit unbefleckt. 
Sie ist mit ihrem Stande zufrieden, duldet gelassen jede Mißhandlung, vollzieht jeden noch so harten Befehl willig und gern, und erträgt sogar die grausamsten Peinen mit übermenschlicher Geduld. Als sie ihre Unschuld, ihren einzigen und höchsten Schatz, in Gefahr sieht, entrinnt sie den Händen der Soldaten. — Und Maria ist — eine Sklavin! 

Aber so verachtet sie ist vor den Menschen, so angesehen ist sie vor Gott. Mit seiner Gnade kämpft und ringt sie mit den Versuchungen der Welt, und sie, das schwache Mädchen, erlangt den Sieg, wird heilig und selig. Die Krone der Unsterblichkeit glänzt im Himmel auf ihrem Haupte; sie schaut nun Gottes Angesicht und genießt seine nimmer endenden Wonnen! — 


Die andere ist ein armes, ganz unbekanntes Hirtenmädchen. Bei ihren Herden dient sie in aller Einfalt ihrem Vater im Himmel. Sie erträgt geduldig jedes Ungemach der Witterung, duldet die Mißhandlungen ihrer Stiefmutter und findet ihre größte Freude, ihren Trost im Gebete, in Beiwohnung des heiligen Messopfers, im Empfang der heiligen Sakramente. 

Sie führt ein ganz stilles Leben, tut nichts Außerordentliches, und doch wird sie heilig und selig. Unschuldig wächst sie auf, unschuldig lebt sie, unschuldig stirbt sie. Den Kranz der Jungfräulichkeit verwandelt ihr Gott in die unverwelkliche Krone der Herrlichkeit im Himmel! — Siehst du, dass man auch im armen niedrigen Stande heilig und selig werden kann. 

Es kommt nur darauf an, dass du in dem Stande, in welchen Gott dich gesetzt hat, seinen heiligen Willen tust, und die Pflichten treulich erfüllst, die dein Stand fordert. Gott und den Nächsten lieben kann man überall und in jedem Stande. 

Sich selbst überwinden, seine bösen Neigungen besiegen, von den Lüsten der Welt sich fern halten, muss und kann jeder Mensch, wes Standes er auch sei. Geduldig das Kreuz tragen, das jeder Stand mit sich bringt, kann der Bettler und der König. Zum heilig werden braucht es keiner wunderbaren, hohen Taten; du brauchst hiezu nicht Bischof, nicht König, nicht Abt, nicht Einsiedler zu sein, oder in einem Kloster zu wohnen; du darfst dich nur enthalten von dem einzigen Übel, von der Sünde, und nur das eine üben, die Tugenden, welche Christus dir zeigt. 

Jesus hat gesagt: Wer mir nachkommen will, der verleugne sich selbst, nehme täglich sein Kreuz auf sich, und folge mir nach! 
Das ist also der einzige Weg, den alle Menschen, Päpste und Bischöfe, Könige und Fürsten, Priester und Beamte, Handwerker und Bauern, Knechte und Mägde, Arme und Reiche gehen müssen, und der allein und sicher zum Himmel führt. 
Diesen Weg sind die beiden Jungfrauen Germana und Maria gegangen: beide sind heilig und selig geworden. 

Willst du nicht auch diesen Weg gehen? Du kannst ihn gehen; an der Gnade Gottes fehlt es dir nicht, wenn du darum bittest. So fasse also Mut und folge deinem Heiland nach, der dir mit so vielen Heiligen aus allen Ständen vorangeht!
Gebet. O Herr Jesus! der Du bist der Weg, die Wahrheit und das Leben: ich will Dir nachfolgen und in Deiner Nachfolge heilig und selig werden. Reiche mir Deine starke Hand und hilf mir, dass ich den Weg glücklich vollende und zu Dir in den Himmel komme. Amen.
Aus: Legende von den lieben Heiligen Gottes. Nach den besten Quellen bearbeitet und herausgegeben. Stadtpfr. Georg Ott, mit oberhirtlicher Gutheißung, Verlag F. Pustet, 1858 

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