Mittwoch, 12. Juni 2013

Das Himmelreich leidet Gewalt

Fast jede Seite des Evangeliums sagt uns, dass ohne Mühe, ohne Kampf, ohne ernste fortdauernde Anstrengung die Seligkeit, nach welcher jedes Menschenherz sich sehnt und die auch Gott versprochen hat, nicht erreicht werden könne. 

Nun aber gibt es viele Christen, welche das zwar einsehen, aber dennoch unterlassen, Hand ans Werk zu legen und sich Gewalt anzutun, um ihr Ziel zu erreichen. Sie wollen zwar selig werden, sie verlangen aufrichtig danach, scheuen aber den Kampf und die Anstrengung. 
Sie meinen, wenn sie ihren alltäglichen Geschäften fleißig nachgehen, Morgens und Abends ihr Gebet verrichten, an Sonn- und Feiertagen in die Kirche gehen, jährlich einigemal die heiligen Sakramente empfangen und sich vor groben Sünden hüten, so sei das schon genug, um einst glückselig zu sterben; dabei lassen sie ihre bösen Leidenschaften: den Zorn, die Ungeduld, den Eigennutz, den Hochmut, die Lieblosigkeit, die Genuß- und Vergnügungssucht, die Trägheit in Übung guter Werke, die Rechthaberei, die Liebe zur Weichlichkeit etc. fortwährend in ihrem Herzen stecken, und bestreben sich nicht, derselben Herr zu werden. 

Ja es gibt viele Christen (o mögest doch du, christlicher Leser, nicht dazu gehören!), welche ihr ganzes Leben lang nur darnach trachten, wie sie auf dieser Erde recht bequem und sorgenfrei leben können, und dann doch glauben, es wird beim Sterben nicht so weit gefehlt sein und der liebe Gott wird ihnen in der andern Welt schon ein gutes Plätzchen anweisen. 

Von jenen aber, die leichtsinnig und ungescheut Gottes heilige Gebote verachten und übertreten und dennoch meinen, sie könnten zu seiner Zeit sich schon bekehren und selig werden, will ich gar nicht reden!

Nun aber sagt Jesus: „Das Himmelreich leidet Gewalt"; er fordert also allen Ernstes von dem Menschen, dass er alle seine Kräfte anstrenge, um über sich selbst seine Neigungen und über die Schlingen der Welt und des Teufels Herr zu werden. Er verlangt also von dir, dass du fortwährend gegen dich selbst kämpfst und den vergänglichen eitlen Freuden und Gütern der Welt entsagst, — kurz, dass du ein bußfertiges Leben führst. 

 Um nun dich und alle Christen, welche selig werden wollen, von der Notwendigkeit eines solchen Lebens zu überzeugen und zum Kampfe gegen dich und die Welt aufzumuntern, stellt uns der Herr das hellleuchtende Beispiel der Heiligen vor Augen, die alle Gewalt gebraucht, ja von denen Viele mehr getan haben, als gerade zur Erreichung der Seligkeit notwendig gewesen wäre. Zu diesen gehört auch der hl. Onuphrius, der sechzig Jahre in die tiefste Wildnis sich begraben und fern von allem Umgang mit Menschen das härteste Leben geführt hat! — 
Sage mir, christliche Seele, musst du nicht bei Betrachtung dieses strengen Lebens ausrufen: 
Wenn dieser Heilige von seiner Kindheit an um das Himmelreich solche Gewalt gebraucht hat, was soll ich tun? Ist es wohl möglich, dass ich bei meinem weichlichen Leben vor Gott einst Gnade finden werde?
Soll ich denn gar nicht kämpfen und jede Überwindung scheuen?! Fest steht es: 
„Das Himmelreich leidet Gewalt, und nur die Gewalt brauchen, reißen es an sich."
Was willst du also tun, christliche Seele? Willst du noch immer die Hände in den Schoß legen? Fühlst und kennst du nicht, was du in und außer dir bekämpfen mußt? Denke einmal nach! 
Vergleiche dich mit Jesus, mit seinen Heiligen, und du wirst, du mußt finden, was du bekämpfen, was du abschneiden, was du dir versagen, was du an dir bessern mußt! Es ist Zeit, dass du einmal Hand anlegst, also frisch ans Werk; die Gnade Gottes ist dir gewiß, der Himmel ist alles wert!
Gebet. O mein göttlicher Heiland, verleihe mir doch den Mut und den wahren Eifer, Gewalt zu brauchen und mich abzutöten. Mein Fleisch empört sich dagegen, aber ich sehe es ein, dass ohne Überwindung, ohne Entsagung und Abtötung die Seligkeit bei dir nicht zu erlangen ist. Ziehe doch mein Herz zu dir, o Jesus, und hilf mir, dass ich nach dem Beispiele deiner Heiligen einmal Hand an's Werk lege.
alles aus: Legende von den lieben Heiligen Gottes. Nach den besten Quellen bearbeitet und herausgegeben. Stadtpfr. Georg Ott, mit oberhirtlicher Gutheißung, Verlag F. Pustet, 1858



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