Sonntag, 11. November 2012

Der Seelsorger muß taktvoll im Schweigen und tüchtig im Reden sein

aus: Gregor der Grosse († 604) - Buch der Pastoralregel (Liber regulae pastoralis) Zweiter Teil: Vom Leben des Hirten

"Der Seelsorger muß taktvoll im Schweigen und tüchtig im Reden sein, damit er nicht über etwas rede, worüber er besser schweigen würde, oder über etwas schweige, worüber er reden müßte. Denn wie unvorsichtiges Reden in Irrtum führt, so hält unzeitiges Schweigen jene im Irrtum zurück, die man hätte belehren können. 

Es ist nämlich oft der Fall, daß gleichgültige Seelenhirten sich scheuen, frei und offen zu reden, weil sie sonst die Gunst der Menschen einbüßen könnten, und so die Herde, wie die ewige Wahrheit sagt, nicht in wahrer Hirtensorge, sondern nach Art der Mietlinge bewachen; denn sie fliehen vor dem Wolf, wenn sie sich durch Stillschweigen in Sicherheit bringen wollen.1

Deshalb schilt sie der Herr durch den Propheten „stumme Hunde, die nicht bellen können“,2 und klagt an einer anderen Stelle: „Ihr erhebet euch nicht zum Widerstand und setzet euch nicht zur Mauer für das Haus Israel, um fest zu stehen im Streite am Tage des Herrn.“3 „Sich zum Widerstand erheben“ heißt zur Verteidigung der anvertrauten Herde mit freimütigem Worte den Gewalten dieser Welt entgegentreten; und „am Tage des Herrn im Streite feststehen“ heißt aus Liebe zur Gerechtigkeit ungerechten Gegnern Widerstand entgegensetzen. 

Wenn der Hirt sich fürchtet, die Wahrheit zu sagen, was ist das anderes, als durch Schweigen die Flucht ergreifen? 
Wer sich aber für seine Herde dem Feinde entgegenstellt, der errichtet für das Haus Israel eine Mauer gegen die Feinde. Darum sagt die Schrift an einer anderen Stelle zum sündigen Volke: „Deine Propheten erschauten dir Lüge und enthüllten deine Missetaten nicht, um dich zur Buße zu bewegen.“4 

Die Lehrer werden nämlich in der Heiligen Schrift bisweilen Propheten genannt, insofern sie die Menschen belehren, wie vergänglich das Gegenwärtige ist, und auf das Zukünftige hinweisen. Das Wort Gottes macht ihnen zum Vorwurf, daß sie Lügen erschauen, weil sie sich fürchten, die Sünden zu rügen, und nutzlos den Sündern damit schmeicheln, daß sie sie in falsche Sicherheit einwiegen. Sie decken die Ungerechtigkeit der Sünder nicht auf, indem sie jedes Wort des Tadels unterlassen. 

Eine Strafrede ist wie ein Schlüssel; denn durch den Tadel deckt sie den Fehler auf, den oft gerade der nicht kennt, der ihn begangen hat. Darum sagt Paulus: „Er soll imstande sein, in der gesunden Lehre zu unterrichten und die Widersprecher zu widerlegen.“5 

Und Malachias: „Die Lippen des Priesters sollen die Wissenschaft bewahren, und das Gesetz soll man holen aus seinem Munde, denn ein Engel des Herrn der Heerscharen ist er.“6 Darum mahnt der Herr durch Isaias: „Rufe ohne Aufhören, wie eine Posaune erhebe deine Stimme!“7 

Denn wer in das Priestertum eintritt, übernimmt das Amt eines Herolds, um lautrufend der Ankunft des Richters voranzugehen, der schreckenverbreitend ihm nachfolgt. Wenn der Priester aber nicht predigen kann, wie soll er, ein stummer Herold, nun rufen?

weiter HIER

1: Joh. 10, 12.
2: Is. 56, 10.
3: Ezech. 13, 5.
4: Klagel. 2, 14.
5: Tit. 1, 9.
6: Malach. 2, 7.
7: Is. 58, 1. 

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