Mittwoch, 22. Mai 2013

Die Uner­meß­lich­keit und All­ge­gen­wart Got­tes

von Prälat Georg May

Wir haben ja alle den­sel­ben Gott.“ So hört man oft Men­schen reden, wenn es um die Unter­schiede im Glau­ben geht. Diese Rede ist gefähr­lich, denn wir haben nur den Gott, den wir ken­nen. Und die Kennt­nis Got­tes ist bei den Men­schen sehr unter­schied­lich. Das Got­tes­bild, das die ein­zel­nen Men­schen haben, ist sehr ver­schie­den. 
Es kommt aber nicht dar­auf an, irgend­ein Bild von Gott zu haben, son­dern das rechte Bild. Wir sol­len Gott nicht in irgend­ei­ner Weise ver­eh­ren, son­dern in der rich­ti­gen Weise. Darum ist es so bedeut­sam, meine lie­ben Chris­ten, daß wir uns Gott vor Augen füh­ren, sein Wesen und seine Eigen­schaf­ten, und das ver­su­chen wir seit meh­re­ren Sonn­ta­gen. Am ver­gan­ge­nen Sonn­tag haben wir nach­ge­dacht über die Eigen­schaf­ten der Unver­än­der­lich­keit und der Ewig­keit Got­tes. Heute wol­len wir beden­ken, was es heißt, wenn wir sagen: Gott ist uner­meß­lich und all­ge­gen­wär­tig. Wir wol­len also die bei­den Eigen­schaf­ten Got­tes beden­ken, die Uner­meß­lich­keit und All­ge­gen­wart Got­tes bedeu­ten.

Uner­meß­lich­keit Got­tes besagt die Ver­nei­nung jeder räum­li­chen Beschrän­kung. Im Glau­bens­be­kennt­nis, wel­ches das atha­na­si­sche heißt, wird von Gott bekannt: „Uner­meß­lich ist der Vater, uner­meß­lich der Sohn, uner­meß­lich der Hei­lige Geist. Aber nicht drei Uner­meß­li­che, son­dern ein Uner­meß­li­cher.“ 
Das IV. Later­an­kon­zil vom Jahre 1215 und das I. Vati­ka­ni­sche Kon­zil von 1870 haben Gott aus­drück­lich das Attri­but, die Eigen­schaft, uner­meß­lich zu sein, bei­ge­ge­ben. Diese Ver­kün­di­gung des kirch­li­chen Lehr­am­tes ist nichts ande­res als der Wider­hall der Offen­ba­rungs­ur­kunde, der Hei­li­gen Schrift. Der König Salo­mon hatte den Plan ver­wirk­licht, den schon sein Vater David gehabt hatte, näm­lich Gott ein Haus zu bauen, einen Tem­pel. Und die­sen Tem­pel hat er in wun­der­ba­rer Pracht errich­tet. 
Als er fer­tig war, da sprach Salo­mon ein Gebet, und in die­sem Gebete kommt der bedeut­same Satz vor: „Die Him­mel der Him­mel kön­nen dich nicht fas­sen, wie­viel weni­ger das Haus, das ich dir gebaut habe!“ Also Salo­mon war sich über die Uner­meß­lich­keit Got­tes völ­lig im kla­ren. Die Him­mel der Him­mel, jene Welt, die Gott vor­be­hal­ten ist, ist außer­stande, Gott ein­zu­schlie­ßen. Und wenn das schon für die Him­mel der Him­mel gilt, um wie­viel mehr muß es für das Haus gel­ten, das trotz aller Pracht beschei­den auf dem Tem­pel­berge in Jeru­sa­lem steht.

Gott ist uner­meß­lich. Das haben auch die Kir­chen­vä­ter immer wie­der her­vor­ge­ho­ben in ihren Schrif­ten. Sie nen­nen Gott unfaß­bar, unum­schreib­bar, uner­meß­lich. In einer Schrift aus dem 2. Jahr­hun­dert n. Chr., dem Hir­ten des Her­mas, heißt es: „Wie könnte der umfaßt wer­den, der alles umfaßt?“ Der tiefste Grund für die Uner­meß­lich­keit Got­tes ist seine unend­li­che Seins­fülle. Wenn Gott unend­lich ist, dann ist eben jedes Mes­sen und jedes Wägen und jedes Zäh­len von ihm aus­ge­schlos­sen. Wer unend­lich ist, der kann auch nicht im meß­ba­ren Raum ein­ge­schlos­sen wer­den. Die unend­li­che Seins­fülle Got­tes erhebt Ein­spruch gegen irgend­eine räum­li­che Beschrän­kung Got­tes. Gott ist über jeden Raum erha­ben.

Der Raum, meine lie­ben Chris­ten, ist gewal­tig. Der Teil des Welt­alls, den wir zu erken­nen ver­mö­gen mit Fern­roh­ren und mit pho­to­gra­phi­schen Plat­ten, also mit den Mit­teln der moder­nen Astro­no­mie, umfaßt 500 Mil­lio­nen Ster­nen­sys­teme, Gala­xien, und jedes die­ser Ster­nen­sys­teme besteht aus einer Unmasse von Ein­zelster­nen. Diese Ster­nen­sys­teme sind Hun­derte von Mil­lio­nen Licht­jahre von uns ent­fernt. Ein Licht­jahr, das ist die Stre­cke, die ein Licht­strahl in 1 Jahr zurück­legt. Man hat aus­ge­rech­net, wie lange es dau­ern würde, wenn ein Schnell­zug mit 200 Stun­den­ki­lo­me­tern zu dem für uns gut erkenn­ba­ren Ster­nen­ne­bel Andro­meda rei­sen wollte. Ein Schnell­zug mit 200 Stun­den­ki­lo­me­tern, der zum Ster­nen­ne­bel Andro­meda fah­ren wollte, bräuchte dafür 1 Bil­lion Jahre. 1 Bil­lion sind 1000 Mil­li­ar­den. 1 Bil­lion Jahre bräuchte der Schnell­zug. Das ist also das geschaf­fene Welt­all, das wir erken­nen, das wir vor Augen haben, das wir bis zu einem gewis­sen Grade ermes­sen kön­nen. Wie­viel gewal­ti­ger muß der sein, der das alles erschaf­fen hat, der welt­über­le­gene Gott in sei­ner Seins­fülle, mit sei­nem unräum­li­chen Wesen. Gott ist uner­meß­lich.

Aus der Uner­meß­lich­keit Got­tes aber ergibt sich seine All­ge­gen­wart. Gott ist im geschaf­fe­nen Raum all­ge­gen­wär­tig. Auch das wird von der kirch­li­chen Lehre uner­müd­lich fest­ge­hal­ten und vor­ge­tra­gen. In älte­ren Kir­chen sieht man über dem Altar häu­fig ein Auge abge­bil­det in einem Drei­eck. Die­ses Auge soll Got­tes Auge dar­stel­len, seine Gegen­wart, seine All­ge­gen­wart, auch – und natür­lich beson­ders – in jedem Got­tes­haus. Die Hei­lige Schrift spricht vor allem im 138. Psalm in ergrei­fen­der Weise von der All­ge­gen­wart Got­tes. „Wohin soll ich gehen vor dei­nem Geist, wohin flie­hen vor dei­nem Ant­litz. Stiege ich auch zum Him­mel hin­auf, du bist dort. Läge ich drun­ten im Toten­reich, siehe, da bist du. Nähme ich mir auch des Mor­gen­rots Schwin­gen und ließe mich nie­der am Ende des Mee­res, so würde auch dort deine Hand mich fas­sen, deine Rechte mich gelei­ten. Und dächte ich: Fins­ter­nis soll mich ver­hül­len, zur Nacht soll wer­den das Licht um mich her, so wäre auch die Fins­ter­nis nicht für dich fins­ter, die Nacht wäre hell wie der Tag, die Fins­ter­nis wie das Licht.“

Aus die­sem wun­der­ba­ren Text geht die Über­zeu­gung her­vor, daß Gott über­all gegen­wär­tig ist. Die Theo­lo­gen, vor allem die Kir­chen­vä­ter, haben sich bemüht, die All­ge­gen­wart Got­tes zu ergrün­den und zu unter­schei­den. Sie spre­chen von einer All­ge­gen­wart der Kraft nach, einer All­ge­gen­wart dem Wis­sen nach und einer All­ge­gen­wart der Wesen­heit nach. Got­tes All­ge­gen­wart ist eine sol­che der Kraft nach. Der Kraft nach gegen­wär­tig ist zum Bei­spiel die Sonne auf unse­rer Erde. Die Sonne fällt ja mit der Erde nicht zusam­men. Sie ist nicht auf der Erde, aber mit ihrer Kraft, mit ihren Strah­len, mit ihrer Wärme, mit ihrer Hel­lig­keit, da ist die Sonne auf unse­rer Erde. Ähn­lich ist Gott mit sei­ner Kraft über­all gegen­wär­tig. Er spricht, er will, und dann geschieht es, und das über­all. Gott ist der Kraft nach, mit dyna­mi­scher Gegen­wart, wie die Theo­lo­gen sagen, über­all gegen­wär­tig. Was er will, das voll­bringt er. Keine Schwä­che ficht ihn an, und keine Ohn­macht kann ihn errei­chen. Er ist der Kraft nach über­all gegen­wär­tig.

Gott ist aber auch dem Wis­sen nach über­all gegen­wär­tig. Der hei­lige Pau­lus sagt in sei­ner Rede auf dem Areo­pag in Athen: „In ihm leben wir, bewe­gen wir uns und sind wir.“ In ihm leben wir, bewe­gen wir uns und sind wir. Wie der Gedanke ein Erzeug­nis unse­res Geis­tes ist, so ist der Raum und alles, was ihn erfüllt, ein Erzeug­nis, ein Pro­dukt des gött­li­chen Geis­tes. Und so, wie wir den Gedan­ken durch­drin­gen mit unse­rem Geist, so durch­dringt Gott mit sei­nem Geiste den Raum und alles, was ihn erfüllt. Es ist das eine ide­elle Gegen­wart Got­tes, wobei wir uns frei­lich von dem Gedan­ken lösen müs­sen, daß die Idee kraft­los und schwach sei, son­dern Got­tes Ideen sind mit Macht und mit Wirk­sam­keit begabt. Und was er denkt, das schafft er, zum Unter­schied von uns. 

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