Donnerstag, 15. November 2012

Wer ist gebildet?

Es gibt mancherlei Bildungsmesser. Einige beurteilen sie nach der Menge der verbrauchten Seifen und Parfüms, andere nach dem guten Essen und Trinken, wieder andere nach den Lappen, mit denen sie ihren lebenden Leichnam behängen, oder nach den Kniebeugen und Komplimenten, die man vor ihnen macht. 

Gewiss gehört es zur Bildung, geschmackvoll und standesgemäß gekleidet zu sein, sich in jeder Gesellschaft benehmen zu können, auf den Gebieten des allgemeinen menschlichen Wissens, wie in Kunst und Literatur, zu Hause zu sein, von Talent und Reichtum für sich und andere den rechten Gebrauch zu machen usw.

Aber das alles ist äußerlich; es ist nicht das eigentliche Wesen der Bildung. Der gesunde Menschenverstand sagt uns schon, dass die wahre Bildung etwas sein muss, was zunächst das Innere, die Seele, das Herz bildet, was den ganzen Menschen bildet, was jeden Menschen bildet.

Der Glaube lehrt uns außerdem, dass nur derjenige die rechte Bildung besitzt, der nach Gottes Gesetz und nach dem Vorbilde Gottes gebildet ist: „Fürchte Gott und halte seine Gebote, das ist der ganze (d.h. ein vollkommener, ein gebildeter) Mensch“. (Pred. 12,13).

Und das Vorbild der wahren Bildung ist Christus, der Gottes– und Menschensohn; denn wir sollen, wie der Apostel sagt, nach seinem Bilde „fortschreiten bis zur vollkommenen Männlichkeit, bis zum Vollmaß des Alters Christi“ (Eph. 4,13). Dann bist du ein gebildeter Mensch nach dem Plane Gottes, einerlei, ob du in Seide oder im leinenen Kittel, in Lackschuhen oder in Holzschuhen durch die Welt gehst, ob du den Bettler- oder den Herrscherstab führst: du bist gebildet.

Dann ist an dir aber auch alles wohlgebildet, das Äußere und das Innere: und zwar so, dass das Äußere der Widerschein des schönen Inneren, des edlen Herzens, die Offenbarung deiner guten, reinen Seele ist.
Und diese Bildung ist jedem Menschen möglich, wie sie jedem Menschen notwendig ist. Canes foras! „Die Hunde bleiben draußen“, heißt es in der Geheimen Offenbarung (22,15); in den Himmel können nur wirkliche, also gebildete Menschen eintreten: Ebenbilder Gottes, keine Zerrbilder. Die entstellten Bilder Gottes, d.h. die Menschen, welche das Zeichen des Tieres an sich tragen, werden ins Feuer geworfen.

Es ist auch traurig genug, wenn wir zwar noch nicht zum jämmerlichen Zerrbilde entstellt sind, aber doch nicht die vollkommene Bildung uns erworben haben, wenn unsere Bildung für das Reich Gottes, große Lücken, Unebenheiten, Flecken und Runzeln aufweist. Was die eigene Saumseligkeit bei unserer Bildung hienieden vernachlässigt hat, wird der Läuterungsort, das Fegfeuer, schmerzlich vollenden müssen.

Es geht also nichts über Bildung.


alles von P. Max Kassiepe Max OMI, aus: Licht und Schatten, Zeitgemäße Plauereien eines Volksmissionars, 1922

Pater Max Kassiepe war der wohl berühmteste Volksmissionar der Oblaten.

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