Samstag, 1. Dezember 2012

Leo der Große über die nach Gerechtigkeit Dürstenden in der Bergpredigt

Fortsetzung von hier
Sermo XCV. Homilie über die Seligkeiten der Bergpredigt.
6.
Darauf fährt der Herr fort: "Selig sind, die hungern und dürsten nach der Gerechtigkeit; denn sie werden gesättigt werden!"1

Der Hunger und der Durst, von dem hier die Rede ist, begehrt keine weltliche Speise und keinen irdischen Trank, sondern Sättigung mit dem Gute der Gerechtigkeit. Und ist er bereits in die Tiefe aller Glaubensgeheimnisse eingedrungen, so möchte er den Herrn selbst genießen. 
Glückselig der Geist, der nach solcher Nahrung verlangt und nach einem solchen Trunke lechzt! Würde er sich doch nicht darnach sehnen, wenn er ihre Trefflichkeit nicht erprobt hätte. Allein schon bei den Worten des Propheten: "Kostet und seht, wie gut der Herr ist!"2 empfand er etwas von dieser himmlischen Süßigkeit. Und sein Herz entbrannte in solcher Liebe zu dem reinsten aller Genüsse, daß er alles Irdische verachtet und von ganzer Seele nur darauf bedacht ist, sich von der Speise und dem Tranke der Gerechtigkeit zu nähren. 

Darum macht er sich auch die Wahrheit des ersten aller Gebote zu eigen, das uns lehrt: "Den Herrn, deinen Gott sollst du lieben aus deinem ganzen Herzen und aus allen deinen Kräften!"3 . Denn Gott lieben heißt nichts anderes als die Gerechtigkeit lieben. 
Wie sich übrigens an das Gebot der Gottesliebe die Sorge für den Nächsten anschließt4 , so folgt auch auf dieses Sehnen nach Gerechtigkeit die Tugend der Barmherzigkeit, heißt es doch weiter:
"Selig sind die Barmherzigen; denn Gott wird sich auch ihrer erbarmen!"

1: Mt 5,6
2: Ps 33,9
3: Dt 6,5;Mt 22,37u.a.
4: Lev 19,18; Mt 22,39

Keine Kommentare:

Related Posts Plugin for WordPress, Blogger...