Sonntag, 17. März 2013

Vom ungerechten und gerechten Argwohn

Kaiser Heinrich hat sich von seinen Hofherren zu einem ungerechten Argwohn gegen den heiligen Heribert, Erzbischof von Köln,  hinreissen lassen; er hat aber das Unrecht sogleich wieder gut gemacht. 
Lerne daraus, christliche Seele, jedem unrechten Argwohne oder Verdachte dein Herz zu verschließen. „Die Liebe", schreibt der Apostel, „denkt nichts Arges." I. Kor. 13, 5. 
Es gibt gewisse selbstsüchtige Menschen, die bei jeder Rede, die ihr Nächster fallen lässt, bei jedem Schritt, den er tut, bei jeder Handlung, die er verrichtet, etwas Böses wittern, oder glauben, dass er eine schlimme Absicht dabei hat. 

Von solcher Art waren die Pharisäer, die immer gegen Jesus bösen Argwohn hegten und allem seinen guten Willen eine böse Absicht unterlegten. Hierüber hat sie aber auch Jesus scharf getadelt. 
Es gibt auch Menschen, die, ohne überzeugt zu sein, sogleich ihren Nächsten im Verdacht haben, wenn ihnen irgend ein Schaden zugefügt oder etwas Böses angetan oder irgend eine böse Handlung verübt wird; ja die sogar ihren falschen Argwohn anderen mitteilen, so dass auch diese Arges vom Nächsten denken müssen. 

Wieder andere gibt es, die sich von anderen aufreden lassen und, ohne die Sache genauer zu untersuchen und sich selbst zu überzeugen, auf ein faules Geschwätz hin, falschen Argwohn über ihren Nächsten fassen. 
Ein solcher Argwohn aber ist ein großes Unrecht, das man dem Nächsten antut. Die christliche Nächstenliebe fordert, dass wir von unserm Nebenmenschen, sei er, wer er wolle, immer Gutes denken, so lange wir nicht ganz gewiss vom Gegenteile überzeugt  sind, ja die christliche Demut fordert von uns sogar, dass wir unsern Mitmenschen für besser halten als uns selbst.

Ist es also nicht ein großes Unrecht, wegen einiger leichten, unbedeutenden Anzeichen und Mutmaßungen den Nächsten verachten, für schlecht halten, und ihm in dem eigenen Herzen einen schlechten, verächtlichen Platz anweisen! 
Wie würde es wohl dich schmerzen, wenn du wüsstest, dass andere dich für schlecht halten oder dir Böses andichten, woran du nicht denkst! 

Argwohn ist ein Schelm, sagt das Sprichwort, lasse dich also von diesem Schelm nicht fangen, und weise ihm, wenn er an deinem Herzen anklopft, die Türe. Ach welch ein Unglück hat der ungerechte Argwohn schon angerichtet, wie viele Menschen schon ins Verderben gestürzt! Wenn Kaiser Heinrich nicht gewarnt worden wäre, welch großes Unrecht hätte er vielleicht dem heiligen Heribert zugefügt!

Aber, wirst du sagen, darf man gegen den Nächsten auf keine Weise Argwohn oder Verdacht haben?

Ich antworte dir: Man darf, ja man muss manchmal einen Verdacht hegen. Dazu gehört aber ein rechtmässiger Beruf. So z. B. dürfen die Vorgesetzten, die Eltern, die Hausleute etc.. gegen ihre Untergebenen und Kinder Verdacht haben; das heißt, sie dürfen ihnen nicht immer trauen und bei all ihrem Tun und Lassen die Augen zudrücken in der Meinung, dass von denselben nichts Böses geschehen kann. 

Die kluge Vorsicht fordert also bisweilen den Verdacht, teils um Böses zu verhindern, teils um böse Taten an das Tageslicht zu bringen und zu bestrafen. 
Dieser Argwohn hat seinen Grund in der Liebe und ist gerecht, aber der falsche Verdacht oder Argwohn hat gewöhnlich seinen Grund im Stolze, in der Selbstsucht, im Neide und Geize und in der Lieblosigkeit, und ist unrecht und führt zur Ungerechtigkeit.

Gib also, christliche Seele, dem falschen Argwohn keinen Raum in deinem Herzen und schaue nicht immer mit scharfen, lieblosen Augen auf das Tun und Lassen deines Nächsten; vielmehr schaue auf dich und kehre vor deiner Türe und bedenke, dass der falsche Argwohn schon deswegen nichts Gutes sein kann, weil er das Herz beunruhigt, feindselig und rachsüchtig macht und gar oft grosses Unglück anstiftet! Bitte Gott um ein argloses, liebevolles Herz und sprich:

O mein Gott, der du ganz Liebe bist, verleihe mir die Gnade, dass auch ich meinen Nächsten vom Herzen liebe, und niemals mir erlaube, Arges von ihm zu denken. Amen.
alles aus: Legende von den lieben Heiligen Gottes. Nach den besten Quellen bearbeitet und herausgegeben. Stadtpfr. Georg Ott, mit oberhirtlicher Gutheißung, Verlag F. Pustet, 1858 



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